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2023-03-23 16:24:02 By : Mr. Steven Lin

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von Thomas Becker, MDR THÜRINGEN

Billige Kunststoffe scheinen die Regale im Einzelhandel zu fluten. Dort sieht es noch schick aus, nach einigen Monaten im Alltagseinsatz werden Griffe allerdings spröde oder weich, Kunstleder löst sich und Schuhsohlen zerbröseln. Aber sind daran wirklich die Kunststoffe schuld?

Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ich das Fußballtor nicht mit Netzen ausstatte, sondern mit Glasscheiben und schon beim ersten Treffer sind die Scheiben kaputt, sind dann die Scheiben schuld? Wahrscheinlich ist es derjenige, der auf die blöde Idee gekommen ist.

Was das Beispiel verdeutlichen soll: Der eigentlich absolut tadellose Werkstoff Glas wurde für einen völlig ungeeigneten Zweck eingesetzt. So ähnlich passiert es auch bei Kunststoffen. Deren Preise reichen bei üblichen Massenwaren von wenigen Euro pro Kilogramm bis zu mehreren hundert, wenn es um Spezialkunststoffe geht, beispielsweise für die Raumfahrt.

Tobias Schaible forscht an der Uni Stuttgart an Kunststoffen und deren Eigenschaften. Im Interview erklärt er, warum Plastik spröde werden kann.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 15.02.2023 16:40Uhr 15:00 min

Dass bei Massenware überall gespart wird, das überrascht nun nicht wirklich, aber Dr.-Ing. Tobias Schaible vom Institut für Kunststofftechnik an der Uni Stuttgart wehrt sich ein bisschen dagegen, es einfach dem "billigen" Kunststoff in die Schuhe zu schieben, wenn sich deren Kunstleder ablöst. Vielleicht harmonieren Trägermaterial und die Beschichtung nicht, oder der Kleber ist nicht optimal oder bei der Herstellung haben die Temperaturen nicht gepasst.

Zwar mag der Preis des Grundstoffes eine Rolle spielen, aber in der Regel gibt es ganz andere Kostentreiber. Wichtiger ist mitunter, dass eine Produktionsanlage zum Beispiel möglichst viele Schuhsohlen pro Stunde ausspuckt. Denn erst durch größere Mengen werden Billigprodukte profitabel. Nun verlangt der in der Regel aufgeschäumter Kunststoff gewisse Temperaturen während des Spritzens, dann gibt es eine optimale Abkühlzeit und dann kommt auch eine Sohle mit Qualität heraus.

Gilian Gerke, Professorin an der Hochschule Magdeburg-Stendal, beschäftigt sich beruflich mit Abfall und lehrt Ressourcen- und Recyclingwirtschaft mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit.

Angenommen, ich nehme die unterste Temperatur der technologisch möglichen Spanne. Damit spare ich schon einmal Energie, schließlich muss ich weniger "heizen". Viel wichtiger aber ist: Die Sohle ist viel schneller erkaltet in der Form, also lassen sich mehr Sohlen produzieren. Und wenn ich dann noch das Abkühlen beschleunige, vielleicht sogar noch mehr. Nur hatte der Werkstoff dann eben nicht genügend Zeit, um homogen abzukühlen.

Wir Ingenieure sprechen dann von Eigenspannungen im Bauteil, die eingefroren werden und wenn sich das Bauteil später wieder erwärmt, zum Beispiel in einem warmen Auto, dann kann darin einiges passieren.

Im Fall unserer Sohle wird diese vielleicht brüchig, obwohl der Kunststoff der gleiche ist, wie der eines anderen Schuhs, dessen Sohle doppelt so viel Zeit hatte zum Abkühlen. Das führt aber dazu, dass weniger Sohlen produziert werden konnten pro Zeiteinheit und der Stückpreis ist entsprechend erhöht.  

Ganz falsch ist der Vorwurf natürlich nicht, die Hersteller von billigen Modewaren bewegen sich in einem Spannungsfeld, ob es der Schuh schafft, so lange zu halten, wie er noch modern ist. Oft misslingt die Prognose oder man kalkuliert gleich mit ein, dass wegen eines 20-Euro-Schuhs niemand groß Theater veranstaltet. Ob man mit einem schnell zerfallenden Produkt seine Kunden dazu bringt, das gleiche Produkt erneut zu kaufen, das klingt nach einer nicht sonderlich klugen Strategie.

Auch auf den Markenherstellern lastet der Preisdruck und so manche Optimierungsmaßnahmen bei Material und Verarbeitung erweisen sich als Bumerang. Doch bei der Ursachenforschung liegen wir auch oft  falsch. Ein Irrtum ist beispielsweise, dass irgendwelche Weichmacher ausgetreten sind, wenn Kunststoffgriffe schmierig werden. Es sind schlicht nie welche drin gewesen. Produkte, die sich so verhalten, sind heute meist thermoplastische Elastomere, erklärt Dr. Schaible.

Diese Kunststoffe bestehen aus einer Polymerkette und dies wird durch Sauerstoff und UV-Strahlung verkürzt. Und am Ende wird die Oberfläche wachsartig und man müsste in die Analyse gehen, was da bei der Herstellung falsch gelaufen ist. Oder bei der Aufbewahrung. Sonne ist meistens blöd, Sauerstoff auch, die Temperatur ist die meiste Zeit des Jahres suboptimal. Dass viele Produkte viel zu schnell nur noch für die Tonne sind (und das ist nicht die Gelbe), das ist das nächste Ärgernis für alle, die nachhaltig denken. Doch es gibt hier Hoffnung, auch wegen strengerer EU-Vorgaben.

Die Vorgaben der Politik werden immer strenger. Ein Beispiel ist die Recyclingquote. Solche Vorgaben sorgen dafür, dass sich die Unternehmen Gedanken machen, woher sie künftig ihre Ausgangsmaterialen beziehen. Und am Ende stellen sie fest, die rückkehrenden eigenen Produkte sind Gold wert. Natürlich sind neue Kunststoffe erste Wahl, aber wenn die Recyclingquote eingehalten werden muss, dann ist es doch gut zu wissen, was drin ist. Und das weiß man am besten, wenn man es selbst hergestellt hat und schon so produziert, dass man sich nicht selbst ins Knie schießt beim Recycling. Das wird bei Schuhen vielleicht nicht klappen, weil sie nicht die typischen Recyclingprodukte sind, aber es gibt Beispiele, wo das bereits funktioniert.

Winzig klein, im Wasser, in der Luft, sogar in unseren Ausscheidungen wurde es schon gefunden: Mikroplastik. Aber woher kommt das eigentlich?

Die Mehrweg-PET-Flaschen werden erst mehrere Male befüllt und irgendwann geschreddert. Und man weiß ganz genau, was das für ein Kunststoff war. Und so ähnlich könnte es künftig auch verstärkt bei Autoteilen, Waschmaschinen und so weiter funktionieren, wenn die Hersteller (gezwungenermaßen) entdecken, dass das eigene Produkt eine gute Rohstoffquelle ist.

Je mehr ich meine eigenen Produkte zurücknehme, umso mehr kenne ich auch die Eigenschaften, die die Werkstoffe haben.

Tobias Schaible würde es aus diesem Grund begrüßen, wenn die Geräte eben nicht durcheinander auf den Werkstoffhöfen gesammelt und zur Verwertung gebracht werden, sondern wenn das beim Hersteller geschieht, beziehungsweise unter dessen Aufsicht. Sodass nicht der Zufall, sondern ein Ingenieur steuert, was genau am Ende noch für Fremdstoffe zugesetzt werden, um eine bestimmte Eigenschaft beim Endprodukt zu erhalten. Das könnte zum Beispiel auch Langlebigkeit sein. 

Wo steckt überall Mikroplastik drin? Was macht es mit der Umwelt? Was weiß die Forschung? Wo wurde noch nicht hingeschaut?

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 15. Februar 2023 | 16:40 Uhr

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