Monobloc-Ausstellung: Das Vitra Design Museum würdigt den Plastikstuhl - DER SPIEGEL

2023-03-23 16:33:38 By : Ms. Spring Zhang

Monobloc: Minimaler Aufwand, maximale Wirkung

Heng Zhi ist seit Anfang 2016 Kuratorin im Vitra Design Museum. Sie hat Design in Wien studiert und im Anschluss an der Akademie der bildenden Künste Wien als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet, dann als Assistenzprofessorin an der New Design University in St. Pölten.

SPIEGEL ONLINE: Frau Zhi, wieviele weiße Plastikstühle besitzen Sie?

Zhi: Gar keinen, muss ich zugeben. Dafür hat meine Nachbarin einige im Garten. Aber jetzt, da ich mich für die Ausstellung damit auseinandergesetzt habe, überlege ich, mir auch einen anzuschaffen. Sie sind übrigens gar nicht so leicht im Baumarkt zu bekommen.

Zhi: Das wissen wir auch nicht. Uns ist aufgefallen, dass sie in Deutschland kaum noch zu haben sind außerhalb der Gartensaison. Für die Ausstellung mussten wir sie sogar online bestellen. Und sie sind nicht so billig wie man vermutet: Unter zehn Euro bekommt man sie nicht. Wir haben 50 Stück bestellt, extra teurere: für je 17 Euro. Und es sind doch zwei, drei gebrochen hier angekommen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben diesem ordinären Plastikstuhl, der in Eiscafés, dem Garten oder auf Campingplätzen steht, nun eine ganze Ausstellung gewidmet. Aus Designperspektive: Was ist so genial daran?

Zhi: Er ist wetterfest, stapelbar, leicht und wird sehr effizient hergestellt. Mit minimalem Materialaufwand wird maximale Wirkung erreicht. Da können nicht viele andere Stühle mithalten. Er hat sich wie ein Virus verbreitet. Er wird nicht gewertschätzt, er ist das Paradebeispiel unserer Wegwerfkultur.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie extra welche bestellen mussten: Wieviele Monoblocs hatten Sie denn im Archiv?

Zhi: Wir haben im Schaudepot zwar ein ganzes Fach voll mit Panton Chairs - diese Designklassiker entsprechen auch den Kriterien des Monoblocs: Kunststoffobjekte aus einem Guss. Aber von den billigen Plastikstühlen hatten wir keinen. Das hat sich mit der Ausstellung geändert: Er hat jetzt einen festen Platz in der Sammlung. Ich war selbst überrascht: Obwohl sie uniform wirken, sind alle Modelle sehr unterschiedlich.

SPIEGEL ONLINE: Muss etwas denn immer ästhetischen Wert haben, um im Museum zu landen?

Zhi: Stimmt, das darf nicht das einzige Kriterium sein. Übrigens sind sie aus ästhetischen Gründen in den Innenstädten einiger  deutscher Städte  verboten, in Basel waren sie sogar zehn Jahre lang verbannt - seit Anfang 2017 dürfen Lokale sie wieder benutzen . Die Designgeschichte ist immer noch dominiert von ikonischen Entwürfen von Mies van der Rohe, Charles und Ray Eames, Le Corbusier. Die Menschheit hat ein Faible für die Stars und Helden. Deswegen sind die Plastikstühle noch wenig erforscht. Dabei besteht unsere materielle Umgebung aus solchen anonymen Objekten, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen.

Monobloc: Minimaler Aufwand, maximale Wirkung

SPIEGEL ONLINE: Was ist für Sie denn der Anfang der Monobloc-Ära? Der erwähnte Panton-Chair oder der Z-Stuhl von Ernst Moeckel sind doch auch aus einem Guss.

Zhi: Deswegen zeigen wir auch all diese Vorläufer. Mit Aufkommen der Kunststofftechologie in den Fünfzigerjahren war es erstmals möglich, Objekte aus einem Guss herzustellen. Aber nicht aus PP. Daher war Henry Massonets "Fauteuil"-Entwurf von 1972 stilprägend. Nach jetzigem Forschungsstand war er der erste, der den Stuhl so entworfen hat, eine Errungenschaft. Aber Ölkrise und Umweltbewegung verhinderten, dass sich die Stühle damals durchsetzten. Das änderte sich erst, als andere große Kunststoffhersteller wie die britische Marke Allibert Monobloc-Stühle in Massenproduktion herstellten. Heute ist es wirklich keine Herausforderung mehr, einen solchen Stuhl herzustellen.

SPIEGEL ONLINE: Die Begeisterung muss anfangs so groß gewesen sein wie beim 3D-Druck heute, der ja ähnlich funktioniert.

Zhi: Ich würde das nicht vergleichen. So ein Spritzguss dauert weniger als eine Minute: Granulat rein, in die Form spritzen, ein Roboterarm greift den fertigen Stuhl und setzt ihn auf den Stapel zu den anderen. 3D-Druck dagegen ist viel langsamer: Da wird Schicht um Schicht aufgetragen, man kann zuschauen, wie ein Stuhl wächst. Die Technologie ist noch teuer und macht die Objekte zu etwas Besonderem. Ähnliches galt übrigens noch Anfang der Achtziger für die Plastikstühle: In der Schweiz kosteten sie damals 100 Franken.

Zhi: Kunststoff hatte ein hochwertigeres Image, reines Polypropylen war teuer. Heute bestehen die meisten zwar offiziell auch aus PP, aber die Hersteller mischen billigere Granulate bei, deshalb sind sie poröser und überleben keine zwei Winter draußen.

SPIEGEL ONLINE: Die Modelle tragen Namen wie "Miami", "Ischia" oder "Laredo": Alles sonnige Sehnsuchtsorte, um vergessen zu machen, wie unscheinbar das Ding ist?

Zhi: Dass die Stühle mit Urlaub, Sommer und Draußensein assoziiert werden, gilt nur für westliche Industrieländer. Sie haben sich hier in Europa anfangs besonders verbreitet, weil Lokale sie meist geschenkt bekommen haben: bedruckt mit den Logos von Bier- und Limonadenmarken. In anderen Regionen der Welt spielt er eine andere Rolle.

Zhi: Während er hier wegen seines Billiglooks ein Wegwerfobjekt ist, gilt er in vielen Entwicklungsländern als Wertgegenstand. Er wird immer weiter geflickt mit Schnüren und Klebebändern, manche stapeln zwei kaputte übereinander, um wieder einen ganzen zu haben. Und wenn ein kaputter Stuhl vor dem Eingang eines Ladens steht, bedeutet das: Wir haben geschlossen. Es ist ein sehr demokratisches Möbelstück.

SPIEGEL ONLINE: Er ist nun einmal weiß und schlicht.

Zhi: Unter Künstlern und Designern hat er deswegen in den vergangenen zehn Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen: Sie projizieren ihre Ideen darauf und verwenden ihn als Werkstoff, um neue Interpretationen eines allgegenwärtigen Industrieproduktes zu schaffen. Wie der Monobloc-Forscher Jens Thiel so schön sagte: "Er ist wie eine weiße Leinwand."

Die Ausstellung: "Monobloc - Ein Stuhl für die Welt"  im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bei Basel läuft noch bis 9. Juli.

Der Monobloc ist ein clever designtes Sitzmöbel, das noch immer in zahlreichen Gärten steht.

Während er hier wegen seines Billiglooks ein Wegwerfobjekt ist, gilt der weiße Plastikstuhl in vielen Entwicklungsländern als Wertgegenstand.

Er ist wetterfest, stapelbar, leicht und wird sehr effizient hergestellt: Mit minimalem Materialaufwand wird maximale Wirkung erreicht.

Aus ästhetischen Gründen sind sie in den Innenstädten einiger deutscher Städte verboten, in Basel waren sie sogar zehn Jahre lang verbannt - erst seit Anfang 2017 dürfen Lokale sie wieder benutzen.

Monoblocs an einer Tankstelle im Kurdengebiet im Irak.

Der Panton-Chair von Verner Panton entspricht auch den Kriterien des Monoblocs: Kunststoffobjekte aus einem Guss.

Der Myto-Stuhl ist ebenfalls ein Monobloc. Der Freischwinger wurde 2007 von Konstantin Grcic auf der Kunststoffmesse in Düsseldorf vorgestellt.

Der in Berlin lebende kanadische Designer Jerszy Seymour baute seinen New Order Chair auf einem weißen Plastikstuhl auf.

Der Bofinger-Stuhl wurde 1964 von dem Architekten und Designer Helmut Bätzner entworfen.

Werbeanzeige für den Bofinger-Stuhl, der nach seiner Vorstellung auf der Kölner Möbelmesse zur Design-Ikone wurde.

Modelle für Bofinger-Stühle im Büro ihres Erfinders Helmut Bätzner.

Das Schaudepot hat zwar ein ganzes Fach voll mit Panton Chairs, aber von den billigen Plastikstühlen gab es keinen einzigen. Das hat sich mit der Ausstellung geändert: Er hat jetzt einen festen Platz in der Sammlung.

Die markante Silhouette des Panton-Stuhls hat Verner Panton über mehrere Jahre entwickelt.

Ausstellungsansicht der Monobloc-Schau im Vitra Design Museum in Weil am Rhein.

In Europa gelten weiße Plastikstühle als Möbel mit begrenzter Haltbarkeit, die bei kleinsten Beschädigungen weggeworfen werden. In ärmeren Ländern ist er ein Statussymbol, das immer wieder geflickt wird.

Mischung aus Monobloc und Korbstuhl von Fernando und Humberto Campana

Esszimmerstuhl Selene von Vico Magistretti für Artemide

Mit Aufkommen der Kunststofftechologie in den Fünfzigerjahren war es erstmals möglich, Objekte aus einem Guss herzustellen. Aber nicht aus PP. Daher war Henry Massonets "Fauteuil"-Entwurf von 1972 stilprägend.

Die Ausstellung "Monobloc - Ein Stuhl für die Welt" im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bei Basel läuft noch bis zum 18. Juni.

Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit