Nach tödlichem Unfall auf Ludwigstraße: Verursacher zu Haftstrafe verurteilt

2023-03-23 16:37:04 By : Ms. chunlin du

Im Juni 2022 starb ein 28 Jahre alter Fußgänger, nachdem ihn nachts auf der Ludwigstraße ein Auto erfasst hatte. Nun musste sich der Fahrer vor dem Amtsgericht Gießen unter anderem wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten.

Er schleicht die breiten Treppen des Amtsgericht Gießen hoch, ein dünner, unscheinbarer Mann, somnambul fast. Es wirkt, als wollte er am liebsten mit den deckenhohen, rotbraunen Steinpfosten verschmelzen, damit ihn die auf dem Flur wartenden Kameraleute nicht wahrnehmen. Auch im großen Gerichtssaal 100A versinkt er auf dem Stuhl wie ein Schuljunge, der seine Hausaufgaben vergessen hat und nicht von der Lehrerin drangenommen werden will. Wenn es doch nur so wäre… Dann würde ein Mensch noch leben. Der dünne Mann, 41 Jahre alt, soll am 12. Juni 2022 in der Ludwigstraße einen damals 28-jährigen Langgönser mit einem Fahrzeug erfasst haben. Dieser starb wenige Stunden später an den Folgen des Unfalls. Am Mittwoch hat sich der Unfallfahrer vor dem Amtsgericht Gießen unter anderem wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten müssen.

Die Ludwigstraße, Gießens Kneipenmeile, ist an Wochenenden sehr gut besucht. Auch an jenem frühen, lauen Sommersonntagmorgen im Juni 2022. Drei Freunde gehen in die Tropicana-Bar. Sie hätten sich gelangweilt, sagt einer aus der Gruppe, ein 30 Jahre alter Mann, als Zeuge aus. Nach 30 Minuten wollen sie die Bar wieder verlassen, dann gegen 2.35 Uhr die Ludwigstraße überqueren und zu einem in der Nähe geparkten Auto gehen. Plötzlich, erzählt er, habe aus der oberen Ludwigstraße jemand laut »Langsam fahren« gerufen. Als er erkannt habe, dass von dort ein Auto schnell auf sie zugekommen sei, habe er seine hinter ihm laufenden Freunde gewarnt. »Das Auto fuhr an mir vorbei, und bevor ich mich umdrehen konnte, hörte ich einen lauten Schlag und sah, dass mein Freund durch die Luft flog. Er lag dann auf dem Boden. Er verblutete. Aber das Auto hielt nicht an.«

Es ist einem 23-Jährigen zu verdanken, dass der Unfallfahrer gestellt werden konnte. Dieser Mann steigt nach dem Zusammenstoß auf sein Motorrad und kann den Unfallfahrer vor dem Ludwigsplatz stoppen, indem er sein Motorrad vor den orange-roten Renault stellt. Dann, so hatte der 23-Jährige dieser Zeitung kurz nach dem Unfall erzählt, »habe ich ihn angeschrien, er soll aussteigen«. Der Fahrer, zitiert Richterin Antje Kaufmann aus der polizeilichen Vernehmung des 23-Jährigen, habe dabei nur gegrinst.

Es sind wenige Zentimeter, nur Bruchteile von Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden. Während der zweite Freund aus der Gruppe den Luftzug des Renaults am Bein spürt, wird der Dritte aus der Gruppe angefahren. Im Unfallgutachten heißt es, der 28-jährige Langgönser sei vorne rechts am Fahrzeug erfasst worden, auf die Motorhaube »aufgeladen« worden und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt. Dann sei er auf den Bordstein auf Höhe des Apfelbaum-Biergartens gefallen. Dabei muss er auf eine heute 43-jährige Frau gestürzt sein, die sich am Bein verletzte. Deren 30-jährige Freundin beschreibt in ihrer Aussage den Verletzten so: »Ich habe am Oberschenkel einen Bruch gesehen, auch im oberen Bereich war etwas gebrochen, und Blut kam aus dem Ohr.« Sie habe versucht, mit ihm zu reden, habe aber keine Antwort erhalten. Der Mann verstarb um 3.43 Uhr an einem Schädel-Hirn-Trauma.

Im Gutachten des Sachverständigen heißt es, der Fahrer muss mit 60 bis 64 km/h die Ludwigstraße hinuntergekommen sein. Die Lichtverhältnisse seien in der Nacht so gewesen, dass bereits von Weitem die vielen Menschen auf den Bürgersteigen von einem nicht in seiner Wahrnehmung eingeschränkten Fahrer hätten erkannt werden müssen. Und auf 20 Metern Entfernung könnten Passanten auf der Straße gesehen werden. Wäre der Mann 20 Meter vorher mit Tempo 50 gefahren, hätte der Unfall nicht verhindert werden können. Hätte er dies jedoch auf der gesamten Ludwigstraße getan - so wie es vorgeschrieben war - hätte dies den Fußgängern eine Zeitersparnis von 0,2 Sekunden gebracht. In dieser Zeit hätten sie etwa einen Meter zurücklegen und sich aus der Gefahrenzone bringen können; der Langgönser würde noch leben. Als Reaktion auf den Unfall hatte die Stadt an Wochenenden zu später Stunde das Tempo rund um die Unfallstelle auf 30 km/h beschränkt.

Der Angeklagte sagt, er habe an jenem Abend »vier, fünf Bier« getrunken. Weil sich sein rund zehn Jahre älterer Bruder bereits im Auto hatte schlafen gelegt, sei er gefahren - obwohl er keinen Führerschein besitzt. Dass er der Unfallfahrer war, gibt der geschiedene Familienvater zu. Er stellt sich den Fragen des Gerichts - nur nicht denen des Nebenklage-Vertreters, Mehmet Sahin. Der Angeklagte betont, er habe das Aufprallgeräusch mit einer geworfenen Flasche in Verbindung gebracht. Auch habe er nicht vom Unfallort fliehen wollen, sondern eine Wendemöglichkeit gesucht.

Dies kaufen ihm Staatsanwältin Lisa Georg und Richterin Kaufmann nicht ab und sprechen stattdessen von einer Schutzbehauptung. Für den Angeklagten, sagt Kaufmann, spreche das Geständnis sowie der Eindruck, dass er unter den Ereignissen leide und geläutert wirke. Es spreche aber viel gegen ihn: Fast 2 Promille Alkohol im Blut, der vorherige Konsum von Cannabis, die bis zum Verfahren ausgebliebene Entschuldigung bei Opfern und Angehörigen. Deshalb könne die Strafe von einem Jahr und zehn Monaten nicht auf Bewährung ausgesprochen werden. »Es ist nur dem Zufall zu verdanken«, sagt sie, »dass es nicht mehr Opfer gab.«

Wie der Anwalt des Unfallfahrers, Fred-Hanno Sagert, sagt, werde sein Mandant wohl Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.