Temptations: Die Laeiszhalle wird zum nostalgischen Soul-Tanzschuppen - Hamburger Abendblatt

2023-03-23 16:24:12 By : Mr. Bill Zhou

Volle Soul-Power: Willie Green, Otis Williams, Tony Grant, Terry Weeks und Ron Tyson (v. l.) von The Temptations. (Archivfoto)

Foto: Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres

Auch wenn einige die 80 längst überschritten haben: Die Temptations und die Four Tops sorgten für einen gefühlvollen Nostalgieabend.

Hamburg.  Die Band legt los, doch von den Temptations ist noch nichts zu sehen. Das allerdings ist üblich bei Konzerten von Soul- und Blues-Größen. Nicht lange, dann werden die Stars lautstark angekündigt und tanzen in blütenweißen Anzügen auf die Bühne der Laeiszhalle. Ihren Set eröffnen die Temptations mit „Get Ready“. Das Publikum in der fast ausverkauften Halle muss nicht lange gebeten werden: Es ist bereit.

Der Altersdurchschnitt ist zwar hoch, die meisten Zuhörer sind im Seniorenalter, aber sie sind gekommen, um zu feiern, zu klatschen und die Hits aus den 60er-Jahren mitzusingen.

Die Temptations gehörten zu den Hit-Maschinen des Motown-Labels. Detroit war damals das Herz einer Soul-Musik, die mit ihrer Eleganz und ihrem unnachahmlichen Sound auch vom weißen Amerika geliebt wurde – ganz im Sinne des schwarzen Motown-Bosses Berry Gordy Jr., der mit Motown den „Sound of Young America“ kreierte und in den 60er-Jahren 110 Top-Ten-Platzierungen mit seinen Künstlern schaffte.

Unvergessene Songs der Temptations sind „Papa Was A Rolling Stone“, „My Girl“ und „Just My Imagination“ – keines der Stücke fehlt auf der aktuellen Setliste. Das Quintett ist immer noch gut bei Stimme, überzeugt aber auch mit seinen Choreografien. Manche aktuelle Boygroup hat sich bei diesen Vorbildern bedient. Soul wird hier mit ansteckender Leichtigkeit getanzt.

Mit Otis Williams ist immer noch ein Gründungsmitglied dabei. Am Vortag des Hamburger Konzertes ist er 81 Jahre alt geworden, das Publikum ehrt ihn mit einem spontanen „Happy Birthday“-Gesang. Williams kann mit seinen jüngeren Bandkollegen immer noch gut mithalten, die Leadstimme hat jedoch Ron Tyson übernommen. Er ist seit 1983 dabei und singt oft die hohe Falsett-Stimme wie früher Eddie Kendricks.

Damit die Nummern noch genauso zünden wie vor 50 Jahren, haben die Temptations eine sechsköpfige Band aus den USA mitgebracht, die den richtigen Groove draufhat. Eine zehnköpfige Bläser-Sektion verstärkt den Sound noch. Die meisten Nummern im Programm stammen aus den 60er-Jahren, die Gesangstruppe hat sogar einen brandaktuellen Song im Repertoire: „It’s Gonna Be Yes Or No“ hat ihnen zum 60. Jubiläum ihr früherer Produzent Smokey Robinson geschrieben, als Sänger ebenfalls eine Motown-Legende.

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Anfang der 70er-Jahre konnte auch Berry Gordy sich nicht mehr vor den gesellschaftlichen Herausforderungen in den USA mit der Bürgerrechtsbewegung und dem Vietnam-Krieg verschließen. Motown wurde politischer und die Temptations brachten mit „Ball Of Confusion“ ein kritisches Stück heraus, das in den schwarzen US-Soldaten in Vietnam besonders beliebt war und nichts von seiner bitteren Aktualität verloren hat. In der aktuellen Show geht es allerdings unter und ist nur eines von vielen tanzbaren Liedern.

Mit politischen Songs sind die Four Tops nie aufgefallen, die den zweiten Teil des Abends bestreiten. Anders als die Temptations mit ihren Tanzeinlagen sind die Four Tops mehr Vokal-Ensemble. Wie die Kollegen hat das Quartett ebenfalls ein Gründungsmitglied dabei. Abdul „Duke“ Fakir ist sogar schon 86 Jahre alt und steht seit 68 Jahren auf der Bühne. 1954 wurden die Gruppe unter dem Namen Four Aims gegründet, später benannte sie sich in Four Tops um und landete 1964 bei Motown in Detroit.

Duke und seine drei Kollegen kommen mit kanariengelben Anzügen mit strassbesetzten Revers auf die Bühne. Auch sie haben ihre eigene Backing-Band mitgebracht, die einen noch wuchtigeren Sound spielt als die der Temptations. Die Four Tops haben noch mehr Top-Hits im Gepäck, mit „Loco In Acapulco“ und ihrem ersten Nummer-eins-Hit „Baby I Need Your Loving“ beginnen sie ihren Auftritt und reißen das Publikum sofort von den Stühlen. Es wird getanzt, soweit das in den engen Stuhlreihen möglich ist, die Stimmung ist ausgelassen.

Für Duke Fakir ist das Tempo seiner drei jüngeren Bandmitglieder allerdings zu hoch, er absolviert seine Parts von einem hohen Barstuhl aus. Lewis McNeir, Alexander Morris und Lawrence Payton Jr. nehmen allerdings viel Rücksicht auf den alten Herren, wobei die Show immer dann etwas durchhängt, wenn Fakir zu langatmigen Erzählungen über die Geschichte seiner Band ansetzt.

Doch die Four Tops legen ein furioses Finale mit ihren größten Hits „Reach Out, I’ll Be There“, „Standing In The Shadows Of Love“ und „I Can’t Help Myself (Sugar Pie Honey)“ hin. Wieviel Energie in den jüngeren Sängern der Four Tops steckt, zeigen sie bei der allerletzten Nummer: „Catfish“ ist ein Disco-Hit aus dem Jahr 1976, mit dem sie jedes Publikum zum Ausrasten bringen. Das gelingt diesen energetischen Legenden auch in Hamburg.

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