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2023-03-23 16:36:29 By : Mr. Bill ZenithMachinery

I m vergangenen Jahr haben sie die neue Kollektion im Joshua-Tree-Nationalpark in Kalifornien fotografiert. In überwältigender Natur, aber bei 48 Grad Hitze und in Gesellschaft zahlreicher Buschratten, die nachts durch die Zimmer huschten. „Da war schon noch ein bisschen Abenteuer dabei“, sagt Sonja van der Hagen. Sie grinst dabei, denn der Spaß hat die Strapazen bei Weitem überwogen. Außerdem weiß sie wohl am besten, dass Abenteuer essenziell sind für Dedon, die Outdoor-Möbelmarke aus Lüneburg, die ihr Bruder Bobby Dekeyser 1990 gründete – und aus der er sich vor eineinhalb Jahren endgültig zurückzog. Weshalb ihr Lächeln auch sagt: Wir haben uns verändert – und sind uns trotzdem treu geblieben. Sie selbst ist dafür der Garant.

Dedon, das sind die mit den Flechtmöbeln. Der ehemalige Fußballprofi Bobby Dekeyser hatte mit dem Know-how seiner Familie, die eine kunststoffverarbeitende Fabrik besitzt, eine weiche, licht- und hitzebeständige Kunststofffaser entwickelt. Daraus ließ er luxuriöse Gartenmöbel herstellen, geflochten wie Rattan, aber wetterfest; mit modernem Design, aber traditionell von Hand gefertigt auf den Philippinen, wo besonders erfahrene Flechter leben.

Die Anfangsjahre waren hart, aber seit 2000 wurde aus Dedon ein Welterfolg, der Flechtstil millionenfach kopiert, und die Firma steht seither für großzügiges Loungen unter freiem Himmel. Dafür sorgen ausladende, modulare Sitzgruppen und Ikonen wie „Leaf“, eine Liege in Blattform (entworfen von Frank Ligthart), oder „Orbit“ (von Richard Frinier), eine runde Polsterinsel mit Faltdach, und natürlich „Nestrest“, das riesige, tropfenförmigen Nest, das Höhle und Liege zugleich ist (von Daniel Pouzet und Fred Frety). Auf Katalog- und Anzeigenmotiven stehen oder hängen sie mitten in wilder Landschaft irgendwo auf dem Globus und wecken beim Betrachten ein ziependes Fernweh. Ein Effekt, den Sonja van der Hagen als einstige Marketingchefin und heutige Kreativdirektorin der Marke mit einem Lächeln zur Kenntnis nimmt.

„Unsere Formen haben die Kraft, in der Natur zu bestehen“, erklärt sie. Außerdem ist die Lust am Reisen so etwas wie der Kern von Dedon. „Das war immer unser Ansporn: das Unterwegssein, die Entdeckung.“ Sie konnten auf die Philippinen fliegen zur Herstellung und haben Fotoproduktionen auf der ganzen Welt gemacht, Rajasthan, Kenia, Nordthailand. Mag „draußen“ für die meisten Outdoor-Möbelhersteller schlicht heißen, Terrasse und Garten zu bestücken, so bedeutet es bei Dedon: „draußen in der Welt“, wo es andere Länder, Menschen – kurz: Abenteuer zu erleben gibt. „Reisen ist für uns wie ein zweites Zuhause“, sagt Sonja van der Hagen.

Als ihr älterer Brüder das Unternehmen aufbaute, war sie „von Tag eins“ mit dabei. Zuerst teilten sie sich ein kleines Büro, heute hat sie längst ihren eigenen „Kosmos“, wie sie das nennt. Sie entwickelt die Möbel, verantwortet die Art ihrer Präsentation auf Fotos und Messen. Aber das Gesicht der Marke war stets Bobby. Wer aber ist Sonja? Man ist leicht versucht, die beiden Geschwister (es gibt noch eine älteste und eine jüngste Schwester) vor allem über das zu charakterisieren, was sie unterscheidet. Er: ein Schulabbrecher, der mit 15 beschließt, Fußballprofi zu werden – und dann bei Bayern, Kaiserslautern, Nürnberg und 1860 München im Tor steht. Sie: die Leseratte, die zum Abitur auch eine Hotelfachausbildung macht und danach studiert – Kommunikationswissenschaften, Theatergeschichte und internationale Politik. Er: der unkonventionelle Firmenchef, für den Mitarbeiter Freunde und Familie sind, der die Zentrale in Lüneburg mit Fußballplatz, Yogaräumen, Saunalandschaft ausstattet und täglich gemeinsames Mittagessen einführt. Sie: die Detailbesessene, deren Team weiß, man legt nur etwas vor, bei dem wirklich alles, alles stimmt. Er: die reisende Ideenmaschine, die ständig Gedanken auf Zettel kritzelt und sie dann irgendwo liegen lässt. Sie: die Gedankenorganisatorin, die den Austausch mit den Designern führt.

Ja, man könnte das Bild des Charismatikers im Rampenlicht zeichnen und das der stillen Korrekten, die im Hintergrund wirkt. Was für Sonja van der Hagen einerseits völlig in Ordnung ginge. Andererseits aber natürlich nur die halbe Wahrheit ist.

„Mein Leben ist im Grunde unkonventionell verlaufen“, sagt sie. Sie stammen ja beide aus derselben, „umzugsfreudigen Familie“. Der Vater Belgier, die Mutter Österreicherin, ist sie in Österreich geboren und dort, dann in der Pfalz und in Lothringen aufgewachsen. Und auch Dedon, das erst in München war, haben sie dann nach Norddeutschland umgesetzt, wo es näher zum Hafen ist. Aber Sonja war es, die 2000 nach Barcelona zog, des Lebensgefühls wegen. Von dort hat sie, „das war dank E-Mail ja möglich“, zusammen mit ihrem Mann Jan van der Hagen, der Dedon heute als CEO führt, den Vertrieb und das Marketing geführt. Sie blieben zehn Jahre, bekamen drei Kinder dort, die dreisprachig aufwachsen – Spanisch, Deutsch, Englisch. Ihr Mann ist Holländer, Englisch die Familiensprache. Inzwischen wohnen sie in Hamburg, aber „in meinem Herzen bin ich Gipsy“, sagt sie.

Man ahnt, dass Sonja van der Hagen, die außerdem eine aparte Erscheinung ist, zum neuen Gesicht von Dedon werden könnte. Die Frage ist, ob das nötig wäre, das Unternehmen unterhält sein Profil inzwischen über die Produkte und ihr Design – und das ist ja ohnehin ihr Kosmos. Früh hat sie mit wichtigen Gestaltern zusammengearbeitet – mit Richard Frinier, in den USA eine Instanz für Outdoormöbel, und europäischen Stars wie dem Franzosen Jean-Marie Massaud etwa, der sich bei der Formfindung seiner Kollektionen von Rennseglern inspirieren ließ.

Philippe Starck entwickelte für seinen Stuhl „Play“ aus dem Dedon-typischen Geflecht ein System für gleich 20 verschiedene Muster- und Farbkombinationen. Stephen Burks aus New York entwarf niedrige Hocker und Sessel, die vom afrikanischem Kunsthandwerk inspiriert sind. Und Sebastian Herkner, der Shootingstar aus Deutschland, kombinierte für seine Kollektion „Mbrace“ die Dedon-Fasern mit einem Gestell aus massivem Teakholz. Die Sitzflächen bilden ein mehrlagigen Geflecht, dessen Struktur fast einen 3-D-Effekt hat – ein Bestseller. Inzwischen gibt es auch Möbel ohne die Kunststoffbänder, dafür aus Teak, Textilien oder Keramik. Und das italienische Duo GamFratesi ersann mit „Aiir“, einen leichten Stuhl, dessen geschlitzte Sitzschale aus Kunststoff auf Holzbeinen steht und der sich für draußen genauso gut wie für drinnen eignet. Sonja van der Hagen hat damit ihre Küche bestückt.

Es ist ein organischer Prozess, in dem sich das Portfolio verändert. Die eigentliche Herausforderung für Dedon liegt woanders. „Der größte Wandel ist der von einem Start-up zum einem ‚richtigen‘ Unternehmen gewesen“, sagt die Kreativdirektorin. Der Wandel setzte 2009 ein, als in den USA ein zweiter Firmensitz aufgebaut wurde. Die Zeitverschiebung und Distanz erforderten „ein Middle-Management, das läuft wie eine Lok“. Die Zeit der spontanen Entscheidungen auf dem kurzen Dienstweg und die durchgearbeiteten Pizza-für-alle-Nächte wichen klaren Strukturen. Die gemeinsamen Mittagessen aber bleiben, die Abenteuer in der Wildnis sowieso.

2014 hat die Schweizer Diethelm Keller Group, der auch die Outdoor-Möbelmarken Garpa und Gloster gehören, die Mehrheit an Dedon erworben. Bobby Dekeyser hat sich Ende 2016 zurückgezogen. Schon 2006 hatte er 49 Prozent seiner Anteile an Dedon an Investoren verkauft, diese aber 2009 wieder zurückerworben. Er gründete eine Stiftung für soziale Projekte, musste den plötzlichen Tod seiner Frau 2010 verkraften, schrieb seine Autobiografie. Jetzt widmet er sich seiner Stiftung und seinem Hotel auf den Philippinen und hat gerade noch einmal geheiratet. „Meinem erwachsen gewordenen Baby werde ich immer verbunden bleiben“, hat er gesagt. Er weiß es ja in guten Händen.

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